GGG, Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie in Berlin



Artikel des Monats (September 2017)

Yüksel E(1), Ertan K(2). Grundlagenwissen zum Zugang zur muslimischen Patientin im Praxisalltag. gynäkologische praxis 42, 285-288 (2017).

1:Praxis für Frauenheilkunde und Gynäkologie in Berlin, BGTM; DTGG 2:Klinikum Leverkusen, Chefarzt der Gynäkologie und Geburtshilfe, DTGG

Grundlagenwissen zum Zugang zur muslimischen Patientin im Praxisalltag


Aus dem 11. Lagebericht der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoguz, geht hervor, dass etwa ein Fünftel der Menschen in Deutschland, 17,1 Millionen, einen Migrationshintergrund hat. Im Vergleich zu 2014 ist die Zahl um 1,8 Mio. gestiegen. 50% dieser 17 Mio. Menschen hat einen deutschen Pass. 2015 sind rund 1.14 Mio. Menschen nach Deutschland gezogen: davon waren 45% EU-Bürger, 1/3 Asiaten und 5% Afrikaner. Wie in den Jahren zuvor ist ein Großteil der Zuwanderer EU-Bürger. Insbesondere im Bereich Bildungsteilhabe sind Fortschritte zu sehen: Abiturquote von 2010 bis 2015 von 9% auf 17% gestiegen, auch deutliches Plus bei mittleren Abschlüssen und Kita-Besuchen. Dennoch haben Migranten auf dem Arbeitsmarkt schlechtere Chancen: werden seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen und sind häufiger arbeitslos. Die Zahl der Integrations-, Sprachkurse und Alphabetisierungskurse ist von 2013 bis 2015 um knapp 70% gestiegen.

Der seit Jahren andauernde Bürgerkrieg in Syrien, Irak und anderen Muslimisch geprägten Ländern begünstigt ansteigende Zahlen der Asylanwärterinnen aus diesen Kulturkreisen: allein im Jahre 2015 bis zu 1 Mio. Daraus resultiert vorübergehend eine deutliche Steigerung der Zahl der in Deutschland lebenden Muslime mehr als 5 Mio. In diesem Zusammenhang kommt auf uns Gynäkologen und Geburtshelfer eine besondere Aufgabe in der Versorgung dieser Frauen im Praxisalltag zu. Der Zugang zur muslimischen Patientin im Praxisalltag ist durch mangelnde Sprachkenntnis und niedrige Schulbildung für das medizinische Personal erschwert. Durch Kenntnis der Kultur, Religion und des soziokulturellen Hintergrundes wird zu einem die Beratung und Betreuung dieser Personengruppe erleichtert und unnötige Missverständnisse im Praxisalltag im Umgang mit der muslimischen Patientin vermieden und somit das Vertrauen in der Arzt-Patientin-Beziehung aufgebaut. Besonderheiten dieser Gruppe werden im o.g. Artikel grundlegend dargestellt und im Folgenden zusammengefasst:

Die jüngste der drei Weltreligionen ist der vom Propheten Mohammed (570-632) verkündete Islam, neben Judentum und Christentum eine weitere monotheistische Offenbarungsreligion. Nach islamischem Glauben sind Psalter Davids, Thora, Evangelium und Koran verschiedene Offenbarungsschriften der gleichen Tradition (vgl. Sure 5/44-48). Sunniten (90%) und Schiiten (10%) bilden die zwei größten Gruppen in der islamischen Welt (ca. 1.5 Milliarde). Die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime sind Sunniten (ca. 80%). Drei sich gegenseitig ergänzende Grundsätze prägen das Gesundheits- und Krankheitsverständnis: Nach islamischem Glauben ist das Erdenleben ein Prüfungsort (vgl. Sure 67/2). Zu den vielfältigen Prüfungsarten gehören auch Krankheiten, so wird Geduld als natürliche Konsequenz des Glaubens und somit diesen selbst auf die Probe gestellt.

Im gynäkologischen Praxisalltag ist "Schamgefühl" eine besondere Herausforderung. Verständnis von körperlicher Unversehrtheit und Intimität prägt auch das Schamgefühl und die daraus folgenden Handlungsformen (vgl. Sure 24/30-1).

Heiratswillige Männer der zweiten und dritten Generation haben die Tendenz, ihre Ehepartnerin aus dem Ursprungsland der Eltern zu holen, diese kommen mit mangelnder Sprachkompetenz. Eine behinderte Kommunikation im Praxisalltag erschwert das Verständnis und begünstigt unnötige Diagnostik und Therapie. Emotionale Offenheit zwischen Arzt und Patientin wird durch die "Sprachlosigkeit" unterbunden.

Sexuelle Aufklärung findet weder in den Schulen im Ursprungsland der Eltern noch in der Familie statt. Ohne Wissen über Körperfunktionen und Sexualität werden junge Frauen verheiratet.

Da Jungfräulichkeit religiös und gesellschaftlich ein wichtiges Attribut der unverheirateten muslimischen Frau ist, dürfen diese keine vorehelichen, sexuellen Kontakte haben.

Verhütungsmethoden, die eine Befruchtung der Eizelle nur vorübergehend verhindern, sind erlaubt, am meisten praktiziert bei türkischen Muslimen ist der Coitus Interruptus.

Therapeutische Maßnahmen zur Erlangung einer Schwangerschaft dürfen unter bestimmten Bedingungen in Anspruch genommen werden: Ei- und Samenzellspende und Leihmutterschaft sind streng untersagt.

5 Säulen des Islam: Glaubensbekenntnis, 5x täglich Beten gegen Mekka, Pilgerfahrt nach Mekka, Entrichten der Armensteuer und fasten im heiligen Monat Ramadan: ausgenommen vom Fasten sind Kleinkinder, Reisende, chronisch Kranke, Menstruierende, Schwangere und Stillende (vgl. Bakara Sure 2/184-185).



Dr. med. Emine Yüksel

Praxis
Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Hermsdorfer Damm 214
13467 Berlin


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Aktualisierung: 07.09.2017